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C. de Silva

Krankenpfleger, Pflegedienstleiter, Pflegewissenschaftler (MScN)

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Mangelernährung bei alternden Menschen

in Deutschland - ein Pflegeproblem ?!

Wenn der Begriff Mangelernährung fällt, denken viele Menschen an Länder in der „Dritten Welt“ und an Fernsehbilder von stark unterernährten Kindern und Erwachsenen. Ältere Menschen in unserem Land erinnern sich vielleicht auch an die entbehrungsreichen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch da war Mangelernährung ein nicht zu unterschätzendes Problem. Aber heute, in einer Zeit wo es doch alles was man zu essen und zu trinken braucht kaufen kann? In einer Zeit, wo uns die Werbung immer wieder ermuntert auf „Light-Produkte“ zuzugreifen, weil viele Menschen eher über- als unterernährt sind?

Dieser Artikel soll Pflegenden „Appetit“ machen, sich mit dem Thema Ernährung und insbesondere mit dem Pflegethema „Mangelernährung bei alternden Menschen in Deutschland“ näher zu beschäftigen. Die nachfolgenden Ausführungen verfolgen daher zwei Ziele:

  1. soll die Relevanz des Themas verdeutlicht werden, d.h. eine Begründung dafür gegeben werden, warum man sich mit dem Thema beruflich näher beschäftigen muss, und
  2. soll ein Impuls zur kritischen Reflexion der eigenen beruflichen Auseinandersetzung mit dem Thema gegeben werden und somit auch eine Grundlage zur Diskussion (z.B. unter Kollegen) angeboten werden.

Eine intensive Beschäftigung mit diesem Thema kann darüber hinaus auch exemplarisch aufzeigen, wie beruflich Pflegende sich einem Thema mit gesellschaftlicher Relevanz annehmen und welchen Beitrag sie zur Lösung beisteuern können. Gefordert sind hier vor allem Pflegepraktiker und Pflegewissenschaftler.


Veränderungen im Gesundheits- und Sozialwesen in Deutschland

In den letzten Jahren ist ein deutlicher Veränderungsprozess im Gesundheits- und Sozialwesen spürbar geworden. Dabei spielt die Diskussion über Qualitätsentwicklungsstrategien bei zu förderndem Kostenbewusstsein im Gesundheits- und Sozialwesen eine nicht unerhebliche Rolle. Aufgrund der demographischen Prognosen ist in Deutschland verstärkt das geriatrische Handlungsfeld ins Blickfeld gelangt und hat so die Aufmerksamkeit auf die Bevölkerungsgruppe der Betagten und Hochbetagten gelenkt. Dies zeigt sich in öffentlichen Diskussionen in den verschiedenen Medien zu Fragen des Alterns, den Aktivitäten auf politischer Ebene und an der gestiegenen Anzahl von Untersuchungen und Forschungsprojekten. Auch zum Problemfeld Mangelernährung finden sich in Deutschland Untersuchungen. Sie haben ihren Ursprung in der medizinischen Betrachtung und der ernährungswissenschaftlichen Perspektive und zentrieren sich fast ausschließlich auf den klinischen Bereich. Die Felder der ambulanten Versorgung und der Altenhilfe finden sich daher bisher nur am Rande berücksichtigt. Auch eine Einbeziehung der pflegerischen Perspektive findet bis zum heutigen Tage nicht statt. Dieses ist um so bemerkenswerter, da beruflich Pflegende oftmals die Hauptakteure im Pflegeumfeld von älteren Menschen mit einem erhöhten Pflegebedarf darstellen und tagtäglich mit daraus resultierenden Ernährungssituationen/ Ernährungsproblematiken konfrontiert werden. Beruflich Pflegende stehen wie keine andere Berufsgruppe im direkten Kontakt zu Patienten in Kliniken, wie auch zu Hilfe- und Pflegebedürftigen im ambulanten Sektor bzw. in der stationären Altenhilfe. Da pflegerische Tätigkeiten im Umfeld der Ernährung dabei zu den tagtäglich wiederkehrenden Aufgaben zählt, kommt Pflegenden eine wichtige Rolle zu. Um diese wahrnehmen zu können, müssen Pflegende auf ein fundiertes Wissen zu dieser Thematik zugreifen können. Nur so kann gewährleistet werden, dass gezielte Einschätzungen zum Ernährungszustand getroffen werden und entsprechende Hilfsangebote bzw. notwendige Interventionen stattfinden.

Die Pflegeberufe in Deutschland befinden sich in einem Prozess der Neuorientierung. Dazu gehört auch die Diskussion, welche Rolle(n) beruflich Pflegende übernehmen, für welche Aufgaben sie zuständig sind und welche Kenntnisse und Fähigkeiten ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgaben helfen können. Um diesen Entwicklungsprozess in den Pflegeberufen Impulse zu geben, scheint eine Systematisierung von Wissen in der Pflege eine entscheidende Rolle zu spielen. Vorab müssen in den Handlungsfeldern entsprechende Analysen stattfinden. Die sich in Deutschland entwickelnde Pflegewissenschaft hat hier ebenfalls ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.


Relevanz des Themas

Um die Relevanz, die Bedeutung des Themas Mangelernährung bei alternden Menschen heraus zuarbeiten, werden nachfolgend einige wichtige Aspekte zum Problemfeld dargestellt. Am Anfang wird eine Definition von Mangelernährung gegeben. Danach werden Angaben zur Häufigkeit (Prävalenz) und zu den diskutierten Entstehungszusammenhängen gemacht, worauf sich dann eine Skizzierung von Problemen durch eine vorliegende Mangel-/ bzw. Unterernährung anschließt.

Definition von Mangelernährung

In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition von Mangelernährung. Aus diesem Grund werden an dieser Stelle drei, sich insgesamt ergänzende Definitionsversuche angeführt. Volkert (1990, 56) definiert Mangelernährung folgendermaßen: „Unter Mangelernährung wird ein relatives oder absolutes Defizit des Organismus an Energie und/oder einem oder mehreren essentiellen Nährstoffen verstanden. Dabei kann eine Differenzierung in allgemeine Unterernährung und spezifische Mangelernährung vorgenommen werden“. Die Unterernährung ist zurückzuführen auf eine unzureichende Nahrungsaufnahme über längere Zeit. Davon abgegrenzt zu sehen ist ein spezifischer Mangel, d.h. durch einen relativen oder absoluten Mangel eines einzelnen Nährstoffs. Seiler (1999, I/8) definiert Mangelernährung „[...] als das Vorkommen eines oder mehrerer subnormaler Ernährungsparameter.“ Als „Nicht dem Bedarf entsprechende, unzureichende Aufnahme von Energie und/oder Nährstoffen (Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Wasser, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente)“ wird Mangelernährung im Handbuch der Geriatrie des Bethanien Krankenhauses-Geriatrisches Zentrum, Heidelberg definiert.

Häufigkeit von Mangelernährung

„Mangelernährung im Überfluß?“ Diese provokante Frage stellte in Deutschland vor über 10 Jahren G. Schlierf (1989) in einem Artikel, der sich mit der Ernährung im Alter auseinandersetzte. Heute wissen wir auch, dass nicht alle betagten Menschen von Fehl-/ Mangelernährung gleichermaßen betroffen sind. Aufgrund von Untersuchungsergebnissen zur Nährstoffaufnahme bei gesunden Betagten in Europa (SENECA-Studie / ”Nutrition and the elderly in Europe”) weiß man, dass die Nährstoffversorgung bei zuhause lebenden älteren Personen durchaus als ausreichend anzusehen ist. So schreiben Schlettwein-Grell et al. (1999, I/3): ”Die SENECA-Befunde stimmen somit in Blutanalysen und Nährwertberechnungen darin überein, daß bei diesen randomisiert ausgewählten gesunden Betagten keine Hinweise für Mangelerscheiningen oder Mangelversorgung vorliegen.”

Trotzdem bleibt festzuhalten, dass das Thema Mangelernährung auch ein in den Industrieländern nicht zu unterschätzendes Problem ist. Zu den benannten Risikogruppen zählen hier auch die Betagten und Hochbetagten. Dabei werden Häufigkeiten bis zu 65% genannt. Auch für Deutschland werden entsprechende Prävalenzangaben angenommen. Allerdings beziehen sich viele deutsche Autoren bei der Angabe der Prävalenz von Mangelernährung bei Betagten auf internationale Studien. Dabei schwanken die Angaben dann zwischen 23% und 65% (Göhner, 1995). Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die untersuchten Kollektive sehr unterschiedlich sind und verschiedene Kriterien zur Diagnostik verwendet wurden.

Die zwei Untersuchungen, die bezogen auf Deutschland am häufigsten zitiert werden, sollen an dieser Stelle kurz benannt werden. Sie fanden beide im klinischen Bereich statt. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass gerade bei vielen kranken und/oder pflegebedürftigen alten Menschen eine Unter-/ Mangelernährung vorliegt bzw. die Gefahr einer Entstehung besteht. Die von Gofferje et al. (1980) zum Ernährungszustand von geriatrischen Patienten einer Klinik durchgeführten Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit von Protein- und Protein-Energie-Mangelernährung bei 50% der untersuchten Patienten (n = 309) vorlag. Ergänzende Ergebnisse wurden in Deutschland durch eine weitere Untersuchung zum Ernährungszustand von geriatrischen Patienten (Volkert, 1990) dargelegt (n= 300). Dabei wurden verschiedene Formen der Mangelernährung beobachtet und Zusammenhänge zur Lebenssituation und Mortalität festgestellt.

Im Ernährungsbericht von 1992 werden u.a. Senioren (>65 Jahre) als Risikogruppe eingestuft. Sie gelten als die Altersgruppe mit dem höchsten Anteil von Untergewicht. Schlierf (1996, 233) hält fest: ”Unter- oder Mangelernährung ist ein häufiges und ernstzunehmendes Problem bei geriatrischen Patienten.”

Volkert (1991, 65) stuft die in ihrer Studie untersuchten Probanden zu fast einem Viertel als unterernährt ein. Darüber hinaus gibt sie an, dass z.B. bezogen auf einzelne Untersuchungsparameter, noch höhere Prävalenzen vorliegen. Genannt werden an dieser Stelle unbefriedigende Vitaminwerte, am häufigsten bei Vitamin A und C mit jeweils 37%. Seiler (1999, I/7) berichtet von bis zu 60% Prävalenz der Malnutrition in Abhängigkeit von Art und Zusammensetzung des untersuchten Patientenkollektivs und warnt: ”Malnutrition bei kranken Betagten ist eine der häufigsten und am wenigsten beachteten Krankheiten in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder der häuslichen Pflege.” Aussagen darüber, in welcher Größenordnung ältere Menschen in Einrichtungen der Altenhilfe betroffen sind, finden sich bei Oster (1992, 98). Er bemerkt: ”Während bei zu Hause und im selbständigen Altenheimbereich lebenden Personen die Unterernährung nur in etwa 3-5% gefunden wird, sind im Pflegeheim und im Krankenhaus mehr als 1/3 der Patienten betroffen”.

Es kann festgehalten werden, dass es keine generellen Aussagen zur Prävalenz (Häufigkeit) von Mangelernährungszuständen bei (kranken) Betagten gibt. Fehlende einheitliche Definitionen, unterschiedliche Untersuchungskollektive und verschiedene benutzte Untersuchungsparameter erschweren eine präzise Aussage. Klar ist aber, dass Mangelernährung bei gesunden Betagten (wohl) kein Problem darstellt, bei einem großen Teil von kranken betagten Menschen aber sehr wohl zu beachten ist. Die Häufigkeitsangaben schwanken dabei zwischen 11-65 %. Verlässliche Angaben zu diesem Aspekt für alternde Menschen in deutschen Alten- und Pflegeheimen existieren nicht.

Diskutierte Entstehungszusammenhänge

In der Literatur finden sich Angaben zu verschiedenen Faktoren und Mechanismen, die die Entstehung von Mangelernährung(sproblematiken) im Alter beeinflussen. In der Zuordnung wird dabei oftmals zwischen Risikofaktoren und Ursachen unterschieden. Im Prinzip ist eine Mangel-/ Unterernährung Folge einer negativen Energie- bzw. Nährstoffbilanz. Das heißt, dem Körper werden weniger Nährstoffe und Energie zugeführt, als er zur Aufrechterhaltung seiner normalen Körperfunktionen braucht.

In der im deutschen Sprachraum viel zitierten „Bethanien-Ernährungsstudie“ von Volkert (1990) werden u.a. folgende Ergebnisse hervorgehoben: „Fast die Hälfte der Patienten war von Kaubeschwerden, eingeschränkter Mobilität oder Schwierigkeiten beim Schneiden betroffen. Etwa je ein Viertel berichtete von sozialen und psychischen Problemen. [...] Bei einzelnen Risikofaktoren wurde Unterernährung mit überdurchschnittlicher Häufigkeit beobachtet. Bei Pflegebedürftigen, Patienten mit schwerer Demenz und Patienten mit schwerer Krankheit war der Anteil Unterernährter mit ca. 40% besonders hoch.“ Schlussfolgerungen besagter Untersuchung ist dabei u.a., dass Unterernährung offensichtlich mit körperlichen Einschränkungen eng verbunden ist und auch im Zusammenhang steht mit der kognitiven (geistigen) Verfassung.

Spätestens hier wird deutlich, dass wir es mit einer multifaktoriell beeinflussten und somit auch zu betrachtenden Situation zutun haben. Einflussfaktoren aus den Bereichen

können dabei eine Rolle spielen. Von beruflich Pflegenden, als Hauptakteure in den pflegerischen Handlungsfeldern, wird also ein komplexes Wissen und die Fähigkeit zum vernetzten Denken und Handeln erwartet.

Probleme/Risiken bei vorliegen einer Mangel-/Unterernährung

Dass die Unter-/ Mangelernährung weit reichende Konsequenzen und Auswirkungen auf den weiteren Lebensverlauf von alternden Menschen haben kann, verdeutlichen die folgenden Aussagen. Volkert (1990) weist darauf hin, dass Mangelernährungszustände häufig mit einer beeinträchtigten Muskelfunktion, allgemeiner Schwäche und einem erhöhten Sturz- und Frakturrisiko einhergeht. Außerdem wird auf die Gefahr hingewiesen, dass eine mangelnde Nährstoffversorgung zu erhöhter Infektanfälligkeit, beeinträchtigter Wundheilung und einer verlangsamten Genesung nach akuter Erkrankung sowie zum Auftreten von Komplikationen im Krankheitsverlauf führen kann (Volkert et al. 1991, Volkert 1994).

Eckardt und Steinhagen-Thiessen (1994) heben hervor: „Mangelernährung bedeutet Risiko. Die Mortalität (Anmerk. = Sterblichkeit) bei geriatrischen Patienten steigt drastisch.“ Stähelin (1999, I,IV) fasst es folgendermaßen zusammen: „Heute besteht kein Zweifel, daß eine Fehlernährung wesentlich zur Morbidität (Anmerk. = Häufigkeit der Erkrankungen innerhalb einer Bevölkerung) und Mortalität im Alter beiträgt. Die Immunfunktion wird beeinträchtigt, das Sturz- und Frakturrisiko steigt, bei akuten Erkrankungen ist die Genesung verzögert, Komplikationen treten gehäuft auf.“ Rizzoli und Bonjour (1999, I/31) weisen auf die Bedeutung der Eiweißunterernährung für das Auftreten von osteoporotischer Knochenbrüche hin: „Unterernährung, insbesondere Eiweißunterernährung, begünstigt durch eine Verringerung der Knochendichte und der Muskelkraft das Auftreten osteoporotischer Knochenbrüche.“ Darüber hinaus werden auch Auswirkungen auf die kognitive Leistung beschrieben. Stähelin (1999, I/27): „Eine langdauernde, suboptimale Versorgung mit Mikronährstoffen führt über eine Reihe von Mechanismen zu schlechteren kognitiven Leistungen.“

In einer Untersuchung von Püschel et al. durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Eppendorf (1999, 11) heißt es: „Höhergradige Decubitalulcera sind schließlich vor allem mit einem untergewichtigen Ernährungszustand assoziiert [...].“ In der benannten Gruppe wurden 49,6% der Untersuchten als untergewichtig und weitere 5,2% als extrem untergewichtig eingestuft. Ein Großteil dieser Untersuchten stammte aus Alten- und Pflegeheimen. In die gleiche Richtung gehen die Aussagen des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik. In einer Pressemitteilung mit dem Titel: „Mangelernährung fördert das Wundliegen“. In dieser Mitteilung wird darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Ernährungsversorgung / Ernährungs-therapie zu den Säulen der Behandlung eines Decubitalulceras zu zählen ist. Insbesondere weisen sie in dem Zusammenhang auf den erhöhten Proteinbedarf (Eiweißbedarf) hin. Außerdem heißt es: „20% aller Dekubitus-Patienten leiden an einem Kupfermangel, 60% an einem Eisenmangel und 80% der Betroffenen an einem Zinkmangel“. In einer weiteren Pressemitteilung dieses Instituts stellt Metzner (2000) die Behauptung auf, dass 30% der Dekubitusfälle durch eine ausreichende Ernährung vermeidbar wären.

Schon aufgrund dieser wenigen Aussagen wird ersichtlich, dass Mangel-/ Unterernährung im Alter mit zahlreichen negativen Folgen für den Gesundheits- und Allgemeinzustand des einzelnen Menschen einher geht. Aber auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität dürfen dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Für die bei älteren Menschen überwiegend anzutreffende kalorische/generelle Unterernährung (auch als Energie-Mangelernährung oder Protein-Energie-Mangelernährung =PEM in der Literatur bezeichnet) kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sie zu Organ- und Körperfunktionsbeeinträchtigungen führt. Erkrankt der Betagte zusätzlich, so erschwert bzw. verzögert sich in Folge die Genesung und das Mortalitätsrisiko steigt.


Beruflich Pflegende und das Thema Mangelernährung

Beruflich Pflegende haben tagtäglich mit hilfe- bzw. pflegebedürftigen älteren Menschen zu tun. Pflegehandlungen, die mit der Ernährung (Essen und Trinken) im Zusammenhang stehen, gehören dabei zu den immer wiederkehrenden Alltagssituationen. Vor allem in den Bereichen der ambulanten häuslichen Versorgung und der stationären Altenhilfe sind beruflich Pflegende die Hauptakteure. Bezogen auf den Umgang mit dem Aspekt Mangelernährung scheinen erhebliche Defizite vorzuliegen. Volkert (1997) resümiert daher auch: “Obwohl die Ernährung zu den Grundpfeilern der Kranken- und Altenpflege zählt, kommt die ausreichende Nahrungsversorgung in der täglichen Routine häufig zu kurz. Ernährungsprobleme werden als normal akzeptiert und nicht besonders beachtet.” Als weiteres Problem in diesem Zusammenhang wird die fehlende Kenntnis, Mangelernährung und Risikofaktoren zu erkennen genannt. Darüber hinaus aber auch mangelndes Wissen über die Möglichkeiten einer adäquaten Ernährungstherapie bzw. Ernährungspflege.

Alle Autoren weisen darauf hin, dass einer möglichst präzisen Einschätzung des Ernährungsstatus, der Verbesserung der Ernährungssituation bzw. der Vermeidung von Mangelernährung eine hohe Bedeutung zukommt. Beruflich Pflegenden könnte hier eine wichtige Rolle zukommen. Denn eine frühzeitige und gezielte Diagnostik würde die Basis für die Planung von Präventionsmaßnahmen ermöglichen und die Chance eröffnen, beginnenden Mangelsymptomatiken/Mangelkrankheiten durch geeignete Ernährungsinterventionen möglichst frühzeitig zu begegnen. Es wird aber auch deutlich, wie sehr für die Pflegepraxis fundiertes Wissen notwendige Grundlage ist, um dieses Handlungsfeld überhaupt entsprechend besetzen zu können. Lorensen (1993, 174) fordert aus diesem Grund: “Pflegerische Interventionen müssen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, um effektiv zu sein und zu vorhersehbaren Ergebnissen zu führen.”

In Deutschland gibt es (fast) keine Untersuchungen zum Thema Mangelernährung. Die immer wieder genannten Untersuchungen liegen mehrere Jahre, teilweise fast 10 Jahre zurück und stammen ausschließlich aus der Medizin und der Ernährungswissenschaft. Veränderungen der Patienten- bzw. Bewohnerstrukturen (höherer Anteil von Pflege- und Schwerstpflegebedürftigen), ist bisher unberücksichtigt. Erkenntnisse/Ergeb-nisse von Untersuchungen in anderen Ländern sind nur begrenzt übertragbar. Allein aus diesem Grund scheinen für die pflegerischen Handlungsfelder Untersuchungen über das Vorkommen von Mangelernährung, über das Problembewußtsein und den Kenntnisstand der Pflegenden zu dem Thema und über die Möglichkeiten verschiedener Interventionsmaßnahmen dringend erforderlich. In diesem Zusammenhang ist auch an die Entwicklung und Erprobung neuer Pflegekonzepte zur Verbesserung der Ernährungssituation, vor allem zur Steigerung der Nahrungsaufnahme, zu denken. Als erster Schritt sollte daher in den verschiedenen pflegerischen Handlungsfeldern eine Diskussion zu diesen Themen stattfinden.


Zusammenfassung - Ausblick

Lässt man diese Aussagen Revue passieren, so stellt das Thema Mangelernährung bei alternden Menschen in Deutschland ein im pflegerischen Handlungsfeld nicht zu unterschätzendes Problem dar. Betrachtet man aber auf der anderen Seite pflegebezogene Aktivitäten, so scheint dort diesem Umstand bisher eher eine geringe Bedeutung beigemessen zu werden. Es kann an dieser Stelle festgehalten werden: Eine gezielte Auseinandersetzung zu diesem Problem findet bisher in keinem der pflegerischen Bereiche statt. Dies wird auch daran deutlich, dass in den vergangenen 10 Jahren das Thema Mangelernährung bei alternden Menschen in Deutschland, wenn überhaupt, dann eher am Rande thematisiert wurde. Es wird ebenso schnell sichtbar, dass in den einzelnen Pflegefachzeitschriften das Feld „Ernährung“ nicht regelmäßig aufgearbeitet wird bzw. die Thematik „Ernährungsproblematiken im Alter“ fast nie als ein eigenständiges (Pflege-) Thema bearbeitet ist. Bezüglich der beiden deutschsprachigen, pflegewissenschaftlichen Zeitschriften („Pflege“ und „Altenpflege Forum“) kann festgehalten werden, dass das Thema „Ernährung“ allgemein und spezielle das Thema „Mangelernährung bei alternden Menschen“ bisher nur am Rande berücksichtigt wurde. Querbezüge zur Thematik finden sich aber bei Artikeln, die auf „Ernährungsproblematiken bei Demenz“ eingehen. In den sonstigen Pflegefachzeitschriften und den gängigen Pflegelehrbüchern finden sich Angaben zum Themengebiet Mangelernährung. Allerdings kann auch dort festgehalten werden, dass sich nicht überall aktualisiertes Wissen zum Thema feststellen lässt. Insbesondere fällt der fehlende, wirklich pflegespezifische Focus auf. Es wird nicht deutlich, welchen Beitrag zur besseren Versorgung von Mangel-/ Unterernährten älteren Menschen beruflich Pflegende leisten können.

Aus den bisherigen Aussagen lassen sich folgende Forderungen ableiten:

An das Ende meiner Ausführungen möchte ich ein Zitat von G. Schlierf setzen. Er formulierte 1989 (22:1) zum Problemfeld Mangel-/Fehlernährung: “Es ist zu hoffen, daß unser Wissen zu diesen wichtigen Fragen rasch wächst und die Definition von Problemen auch zu realisierbaren Lösungsansätzen führt.” Ergänzen möchte ich dieses Zitat noch mit dem Hinweis, dass es den Beteiligten im Gesundheits- und Sozialwesen gelingen muss, die Aufmerksamkeit der beruflichen Handlungen auf die Hauptprobleme zu lenken, damit dieses Handeln denjenigen einen Dienst erweist, die sich tagtäglich den Fragen des Alters gegenübergestellt sehen ... dem alternden Menschen.


Literatur

Deutsche Gesellschaft für Ernährung / DGE (Hrsg.) (1992) Ernährungsbericht. Frankfurt/Main

Eckardt, H.; Steinhagen-Thiessen, I. (1994) Kapitel Ernährung. In: Der ältere Patient. Füsgen, I. (Hrsg.) Urban und Schwarzenberg München 1995, 497-509

Eisenbarth, E. (1997) Ernährungserhebung bei Hochbetagten Patientinnen – Vergleich zwischen Selbstgeführten Schätzprotokollen und Personalgeführten Wiegeprotokollen. Diplomarbeit 1997, Universität Bonn

Deutsches Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik / Pressemitteilung Mangelernährung fördert das Wundliegen. Aus: Frankfurter Rundschau vom 22.04.2000. In: http:77www.thema- altenpflege.de/aktuell/presse/art120.htm

Gofferje, H.; Mörsdorf, J.; Lang, E.(1980) Mangelernährung im Alter – Diagnostik und Therapie. Zeitschrift für Gerontologie 13; Steinkopff Verlag Darmstadt, 52-61

Göhner, M. (1995) Verbesserung der Ernährungssituation geriatrischer Patientinnen mit Risikofaktoren für Unterernährung. Diplomarbeit Universität Hohenheim

Handbuch der Geriatrie des Bethanien Krankenhauses – Geriatrisches Zentrum, Heidelberg. Interne Publikation, 1999 (verantw. M. Schuler)

Lorensen, M. (1993) Wissenschaftliche Untersuchung zur Entwicklung der Pflegewissenschaft. Pflege, 6: Heft 3. Verlag Hans Huber Bern, 174-182

Metzner, Ch. (2000) 30 Prozent der Dekubitusfälle bei guter Ernährung vermeidbar! Aus: Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik. In: http://www. Wernerschell.de/Medizin-Infos/Sozialmedizin/ dekubitus_ernaehrung.htm

Oster, P. (1992) Mangelernährung und Störungen im Salz- und Wasserhaushalt. In: Geriatrie. Kruse, W.; Nikolaus, Th. Springer Verlag Berlin Heidelberg, 98-106

Püschel, K.; Heinemann, A.; Seibel, O.; Lockemann, U.; Matschke, J.; Seifert, D.; Tsokos, M. (1999) Epidemiologie des Decubitus im Umfeld der Sterbephase: Analyse im Rahmen der Leichenschau (Jahreserhebung 1998) Institut für Rechtsmedezin – Universitätsklinik Eppendorf. Forschungsbericht

Rizzoli, R.; Bonjour, J.-P. (1999) Unterernährung und Osteoporose. In: Malnutrition bei Betagten (Suppl.). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Steinkopff Verlag Darmstadt, I/31-37

Schlettwein-Gsell, D.; Descarli, B.; Amorium Cruz, J.A.; Haller, J.; De Groot, C.P.G.M.; Van Staveren, W.A. (1999) Nährstoffaufnahme bei gesunden Betagten aufgrund von Resultaten der SENEC Studie „Nutrition and the elderly in Europe“. In: Malnutrition bei Betagten (Suppl.). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Steinkopff Verlag Darmstadt, I/1-6

Schlierf, G. (1989) Ernährung im Alter. Zeitschrift für Gerontologie; Steinkopff Verlag Darmstadt, 22:1

Schlierf, G. (1996) Mangelernährung geriatrischer Patienten. In: Ernährungsbericht. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.), Frankfurt/Main, 233-250

Seiler, W.O. (1999) Ernährungsstatus bei kranken Betagten. In: Malnutrition bei Betagten (Suppl.). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Steinkopff Verlag Darmstadt, I/7-11

Stähelin, H.B. (1999) Malnutrition bei Betagten - Einführung. In: Malnutrition bei Betagten (Suppl.). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Steinkopff Verlag Darmstadt, I/IV

Stähelin, H.B. (1999) Malnutrition und mentale Funktion. In: Malnutrition bei Betagten (Suppl.). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Steinkopff Verlag Darmstadt, I/27-30

Volkert, D. (1990) Untersuchungen zur Ernährungssituation geriatrischer Patienten. Formen, Häufigkeiten und mögliche Ursachen der Mangelernährung. Dissertation 1990, Universität Hohenheim

Volkert, D. (1994) Besondere Anforderungen an die Ernährung im höheren Lebensalter. Ernährungs-Umschau 41, 7. 260-264

Volkert, D. (1997) Ernährung im Alter. Quelle und Meyer Wiesbaden